Deutschland im Ausnahmezustand der Befindlichkeiten
Nach dem Sauerland nun Hilchenbach im Kreis Siegen-Wittgenstein. Wieder einmal flattern schwarz-rot-goldene Fahnen im Wind und wieder einmal steht das Land Kopf. Zwei Streifenwagen rücken aus, Reporter sprechen von einer „rätselhaften Aktion“, und die Polizei sucht Zeugen, als wäre irgendwo ein Staatsgeheimnis entwendet worden. Willkommen in Deutschland im Jahr 2025, dem Land, das sich vor seiner eigenen Flagge fürchtet.
Man könnte glauben, dieses Land hätte keine größeren Sorgen. Industrie zieht ab, Schulen verfallen, Straßen sehen aus wie nach einem Meteoritenhagel, aber wehe, jemand hängt zehn Deutschlandfahnen an eine Laterne. Dann rollen die Streifenwagen, Journalisten wittern ein „politisches Zeichen“, und irgendwer ruft nach der Demokratiepolizei.
So sieht eine Gesellschaft aus, die sich selbst misstraut. Die aus Symbolen Bedrohungen macht, aus Fragen Verdächtigungen und aus Meinungsfreiheit eine Haftungsfalle. Wer heute offen sagt, was er denkt, ob über Energiepolitik, Familie oder schlicht Heimat, gilt als verdächtig. Patriotismus? Rechts. Kritik? Populistisch. Satire? Nur erlaubt, wenn sie in die richtige Richtung tritt.
Wir leben in einem Land, das seine eigene Normalität kriminalisiert hat. Wo das Hissen einer Deutschlandfahne verdächtiger ist als das Zerstören einer deutschen Stadtflagge. Wo man lieber nach Tätern sucht, als sich zu fragen, warum man überhaupt Angst vor den eigenen Farben hat.
Das Absurde daran: Je mehr man kontrolliert, desto größer wird die Hysterie. Je mehr man Angst vor Missverständnissen hat, desto mehr schafft man neue. Aus Angst vor Symbolen wird Misstrauen zum Volkssport. Aus Angst vor Worten entstehen Denkverbote. Und am Ende traut sich keiner mehr, laut auszusprechen, was fast jeder längst fühlt: dass dieses Land an seiner eigenen Überempfindlichkeit erstickt.
Hilchenbach ist dafür nur das jüngste Symptom. Zehn, zwanzig, vielleicht dreißig Flaggen und ein Land gerät in Aufruhr. Polizei, Presse, politische Einordnung. Wäre es nicht so traurig, man könnte lachen. Aber Lachen ist in Deutschland inzwischen auch verdächtig, wenn es nicht im Einklang mit der allgemeinen Haltung geschieht.
Das wahre Problem ist nicht, dass irgendwo Fahnen hängen. Das Problem ist, dass der bloße Anblick sie verdächtig macht. Dass man Reflexe für Denken hält, und Gesinnung für Moral. Eine Gesellschaft, die jede Geste auf ihre politische Reinheit prüft, hat die Freiheit längst gegen Sicherheitsdenken eingetauscht.
Zeit, wieder den Kopf einzuschalten
Was wäre, wenn wir einfach mal aufhören würden, in allem ein Statement zu sehen? Wenn wir Dinge wieder stehen lassen könnten, ohne sie sofort zu interpretieren oder moralisch zu bewerten? Nicht jede Fahne ist ein Manifest. Nicht jedes Wort ein Angriff. Nicht jede Meinung ein Aufruf.
Dieses Land braucht keine neuen Leitkulturen, keine Tugendkommissionen und keine Dauererregung. Es braucht schlicht Menschen, die wieder ihren Kopf benutzen. Weniger Reflex, mehr Reflexion. Weniger Verdacht, mehr Verstand.
Wer jede Kleinigkeit zum Drama macht, verliert die Fähigkeit zur Gelassenheit und damit seine Freiheit gleich mit. Vielleicht wäre das die wahre Revolution: nicht mehr auf jedes Symbol zu reagieren, sondern einfach mal ruhig zu bleiben.
Denn wenn ein Stück Stoff an einem Zaun reicht, um das Land in Aufregung zu versetzen, dann ist nicht die Fahne das Problem. Sondern der Zustand des Landes, das sie wehen sieht.
Disclaimer: Dieser Artikel stellt meine persönliche, meinungsbasierte Kommentierung im Sinne von Art. 5 GG dar. Er erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Tatsachenfeststellung und dient ausschließlich der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung.
© 2025 Mirko Fuchs
Foto: KI-generiert
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