Russland und die NATO-Osterweiterung: Der übersehene Kern des Konflikts

Ukrainekrieg: Ursachen, Vorgeschichte und die Rolle der NATO

Der folgende Beitrag gibt meine persönliche Einschätzung zu den Ursachen und der Vorgeschichte des Ukrainekrieges wieder. Er erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll eine politische und geopolitische Perspektive darstellen, die in der öffentlichen Debatte häufig zu kurz kommt. 


Der Krieg in der Ukraine wird aus meiner Sicht, in der öffentlichen Debatte häufig auf eine einfache Formel reduziert: Russland greift an, Wladimir Putin ist der alleinige Aggressor, der Westen verteidigt Freiheit und Demokratie. Diese Darstellung ist eingängig, moralisch klar und politisch bequem. Sie blendet jedoch zentrale historische und geopolitische Zusammenhänge aus, ohne die der Konflikt nicht zu verstehen ist. Sachlichkeit verlangt, Ursache und Auslöser voneinander zu trennen und nicht nur das letzte Kapitel eines langen Konflikts zu betrachten.

Unstrittig ist, dass Russland mit dem Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 das Völkerrecht verletzt hat. Diese Feststellung reicht jedoch nicht aus, um die Entstehung des Krieges zu erklären. Kriege entstehen selten aus dem Nichts, sie entwickeln sich aus Interessenlagen, Machtverschiebungen und strategischen Entscheidungen, die oft Jahrzehnte zurückreichen.

Nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zerfall der Sowjetunion stand Europa vor der Chance auf eine neue Sicherheitsordnung. In dieser Phase wurde Russland mehrfach signalisiert, dass es keine militärische Bedrohung aus dem Westen geben solle. Gleichzeitig begann jedoch die schrittweise Osterweiterung der NATO. Seit 1999 traten zahlreiche ehemalige Staaten des Warschauer Paktes und frühere Sowjetrepubliken dem Bündnis bei. Aus westlicher Sicht handelte es sich um souveräne Entscheidungen dieser Staaten. Aus russischer Perspektive bedeutete dies eine kontinuierliche Annäherung eines Militärbündnisses an die eigenen Grenzen.

Diese sicherheitspolitische Spannung ist kein Geheimnis und wurde von Russland über Jahre hinweg offen benannt. Spätestens seit der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 machte Wladimir Putin deutlich, dass Moskau die NATO-Osterweiterung als strategische Bedrohung ansieht. Besonders sensibel war dabei die Frage eines möglichen NATO-Beitritts der Ukraine, eines Landes mit historisch, wirtschaftlich und kulturell engen Verbindungen zu Russland und zugleich großer strategischer Bedeutung.

Ein zentraler Einschnitt war zudem das Jahr 2014 mit der Annexion der Krim durch Russland. Nach dem Machtwechsel in Kiew und der klaren Westorientierung der neuen ukrainischen Führung nutzte Moskau die instabile Lage, um die Krim unter seine Kontrolle zu bringen. Russland begründete diesen Schritt mit strategischen Sicherheitsinteressen, insbesondere dem Schutz des Schwarzmeerflottenstützpunkts in Sewastopol, sowie mit dem Selbstbestimmungsrecht der dortigen Bevölkerung. Unabhängig von dieser Argumentation stellte die Eingliederung der Krim einen klaren Bruch des Völkerrechts dar und markierte eine weitere Eskalationsstufe im Verhältnis zwischen Russland, der Ukraine und der NATO.

Vor diesem Hintergrund ist der russische Angriff kein isolierter Akt irrationaler Aggression, sondern die Eskalation eines lange schwelenden Konflikts um Einflusszonen und Sicherheitsinteressen. Diese Einordnung rechtfertigt den Krieg nicht, sie erklärt ihn. Wer Ursachen analysiert, relativiert keine Schuld, sondern versucht, Realität zu verstehen. Genau das wird aus meiner Sicht in der öffentlichen Debatte jedoch häufig vermieden.

Stattdessen wird ein stark vereinfachtes Gut-Böse-Narrativ gepflegt, in dem komplexe geopolitische Entwicklungen auf die Person Putins reduziert werden. Diese Personalisierung mag politisch nützlich sein, verhindert aber eine ehrliche Analyse westlicher Entscheidungen und eigener Anteile an der Eskalation. Die NATO-Osterweiterung, das Ignorieren russischer Sicherheitsbedenken und das Scheitern diplomatischer Lösungen gehören untrennbar zur Vorgeschichte dieses Krieges.

Wer den Ukrainekrieg ausschließlich als moralisches Drama mit klar verteilten Rollen darstellt, erschwert langfristig jede Friedenslösung. Frieden setzt voraus, die Interessen aller beteiligten Akteure nüchtern zu betrachten, auch wenn sie unbequem sind. Eine Politik, die Ursachen ausblendet und nur Schuldzuweisungen kennt, verlängert Konflikte, statt sie zu beenden.

Sachlichkeit bedeutet nicht, russische Kriegsverbrechen zu leugnen oder die Ukraine ihrer Souveränität zu berauben. Sachlichkeit bedeutet, anzuerkennen, dass dieser Krieg ohne die NATO-Osterweiterung, ohne geopolitische Machtpolitik und ohne jahrelanges diplomatisches Versagen so nicht entstanden wäre. Wer das nicht ausspricht, erzählt keine ganze Wahrheit, sondern nur den politisch gewünschten Teil davon.


Disclaimer: Dieser Beitrag dient der politischen Einordnung und Analyse des Ukrainekrieges. Er rechtfertigt weder den russischen Angriff noch relativiert er Völkerrechtsverstöße. Die dargestellten Einschätzungen stellen eine durch Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz geschützte Meinungsäußerung dar und dienen der sachlichen Debatte über Ursachen und Zusammenhänge.

© 2025 Mirko Fuchs
Foto: KI-generiert



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