Wenn aus ganz normalem Wetter ein permanenter Ausnahmezustand gemacht wird
Ich habe langsam den Eindruck, Normalität gilt inzwischen als Zumutung. Ob Sommer oder Winter, warm oder kalt, irgendwer drückt immer auf den Alarmknopf. Sinkt die Temperatur, droht der „plötzliche Wintereinbruch“. Steigt sie, wird der „Höllensommer“ ausgerufen. Dazwischen scheint es nichts mehr zu geben. Wahrscheinlich lässt sich ein ganz normaler Tag einfach schlecht vermarkten. An den letzten Höllenwinter kann ich mich noch gut erinnern, als bei uns die Meisenknödel im Januar anfingen zu keimen. Ist doch alles nicht mehr normal. Was stimmt mit den Menschen nicht?
Aktuell folgen auf milde Tage eben kühlere Luft, örtlich etwas Schnee und glatte Straßen. Früher hätte man gesagt: Willkommen im Winter. Heute liest man es so, als sei das Wetter völlig außer Kontrolle geraten. Aus nüchternen Wetterdaten wird eine Geschichte gestrickt, die klingt, als müssten wir uns auf den Ausnahmezustand vorbereiten, dabei passiert genau das, was jedes Jahr passiert.
Das Schema ist immer gleich. Überschriften werden maximal zugespitzt, Risiken aufgeblasen, jede Schneeflocke wird zur Gefahr. Glatte Straßen gelten plötzlich als völlig unerwartetes Naturphänomen. Dabei weiß eigentlich jeder, was zu tun ist: langsamer fahren, Abstand halten, den Kopf einschalten. Keine Sensation, kein Drama. Aber ohne Drama offenbar auch keine Aufmerksamkeit.
Diese Art der Daueralarmierung passt erschreckend gut zur politischen Kommunikation. Auch dort wird regelmäßig vor großen Gefahren, historischen Entscheidungen und dramatischen Entwicklungen gewarnt. Es wird mit maximaler Dringlichkeit gesprochen, als stünde alles auf der Kippe. Und dann passiert etwas Merkwürdiges: Das, was angekündigt wurde, tritt so gar nicht ein. Oder ganz anders. Oder deutlich kleiner. Manchmal stellt sich sogar heraus, dass vorher schlicht falsch oder bewusst überzeichnet geredet wurde.
Zurück bleibt kein Erkenntnisgewinn, sondern Misstrauen. Wer ständig hört, was alles droht, und später feststellt, dass vieles davon nicht eingetreten ist, glaubt irgendwann gar nichts mehr. Weder beim Wetter noch in der Politik. Alarm verliert seinen Wert, wenn er zum Dauerzustand wird.
Die Folge ist Abstumpfung. Entweder man lebt dauerhaft im Stressmodus oder man winkt innerlich ab, noch bevor die nächste Warnung ausgesprochen ist. Beides ist kein Zeichen von Aufklärung, sondern von Überforderung. Wenn alles Krise ist, ist am Ende nichts mehr eine.
Wetterinformationen sind wichtig, echte Warnungen sinnvoll. Aber zwischen Information und Dramatisierung liegt eine klare Grenze. Wird sie ständig überschritten, entsteht kein Sicherheitsgefühl, sondern ein permanentes Grundrauschen aus Übertreibung und Enttäuschung.
Vielleicht wäre es an der Zeit, wieder ehrlich zu werden. Der Winter kommt nicht plötzlich. Der Sommer auch nicht. Und politische Realität ist oft weniger dramatisch als angekündigt. Manchmal eben schlicht, weil vorher mehr behauptet als gewusst wurde. Weniger Alarm, mehr Realitätssinn. Das wäre schon ein Fortschritt.
Disclaimer: Dieser Beitrag stellt eine wertende, meinungsäußernde Darstellung dar und dient der allgemeinen Meinungsbildung. Er enthält keine Tatsachenbehauptungen über konkrete Personen oder Medien. Offizielle Wetterwarnungen und behördliche Hinweise sind unabhängig davon stets zu beachten.
© 2025 Mirko Fuchs
Foto: KI-generiert
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