Wenn Recht plötzlich als Provokation gilt und eine Stadt ihre eigenen Regeln verrät
Es gibt Städte, die für Kultur stehen, andere für Wissenschaft. Und dann gibt es Gießen, das sich gerade mit beachtlichem Ehrgeiz zum Mahnmal für politisch befeuerte Eskalation hocharbeitet. Eine Kommune, in der ein Oberbürgermeister und ein Teil der lokalen Szene offenbar beschlossen haben, den Rechtsstaat nach politischer Stimmung zu portionieren. Und das Ganze im Namen einer „Haltung“, die immer dann besonders leidenschaftlich verteidigt wird, wenn es nicht die eigene Verantwortung betrifft.
Die Fakten liegen offen: Ein Messeunternehmen erfüllt seine gesetzliche Pflicht. Punkt. Keine Romantik, keine Parteinähe, keine persönliche Agenda. Die Neutralität folgt nicht der Laune des Tages, sondern dem Gesetz. Das sollte in einem Land, das sich Rechtsstaat nennt, nicht besonders spektakulär sein. Und doch wird in Gießen daraus ein moralisches Inferno gestrickt, das selbst abgeklärte Demokratien ins Kopfschütteln treiben würde.
Moralische Überhitzung ersetzt Faktenlage
Wer hätte gedacht, dass die Einhaltung von Recht und Gesetz einmal als Akt des politischen Widerstands gelten würde. Aber so weit ist es inzwischen gekommen. Mitarbeiter, die schlicht ihren Job tun, werden öffentlich an den Pranger gestellt. Ihre Namen verschwinden von Webseiten, nicht aus Scham, sondern aus Selbstschutz. Morddrohungen. Adressen veröffentlicht. Staatsschutz-Empfehlungen, wie man nicht erschossen wird, wenn man abends nach Hause geht.
Alles, weil einige Aktivisten und manche lokalpolitischen Lautsprecher nicht akzeptieren wollen, dass in einem demokratischen Rechtsstaat alle Parteien gleich zu behandeln sind, solange kein Gericht etwas anderes feststellt. Das ist kein radikaler Gedanke. Das ist das kleine Einmaleins der Verfassung.
Die Politik duckt sich weg – und zeigt mit dem Finger
Die eigentliche Farce: Politiker, die genau wissen, dass die Messe rechtlich handeln musste, spielen das Spiel trotzdem mit. Sie verlagern die Verantwortung nach unten, damit die Feindbilder nicht im eigenen Lager entstehen. Ein paar Angestellte als Blitzableiter sind da offenbar bequemer als ein ehrliches Gespräch über Demokratieprinzip und rechtliche Zuständigkeiten.
Und es ist kein Zufall, dass die Lage eskaliert. Wo die politische Ebene Emotionen entfacht, folgen radikale Milieus wie der Funke dem Stroh. Und plötzlich stehen einfache Mitarbeiter im Fadenkreuz, weil sie etwas getan haben, das eigentlich Ehre verdienen müsste: Sie haben sich an Recht und Gesetz gehalten, während andere „Haltung“ wie einen Baseballschläger vor sich her tragen.
Gießen als Spiegelbild einer politischen Schieflage
Ob man die AfD mag oder nicht, spielt keine Rolle. Gleiches Recht für alle ist kein optionales Feature der Demokratie. Es ist ihr Fundament. Und wenn eine Stadt beginnt, dieses Fundament aus modischem Sendungsbewusstsein heraus zu unterspülen, muss man sich nicht wundern, dass irgendwann nur noch Polemik übrig bleibt.
Das Tragische: Die Mitarbeiter der Messe haben mit der Politik dieses Landes ungefähr so viel zu tun wie ein Busfahrer mit der Verkehrspolitik der UN. Sie folgen der Rechtslage, und die Rechtslage ist eindeutig. Wer daran rütteln will, hat exakt drei Adressen: Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung. Nicht die Privatanschrift eines Messeangestellten in Mittelhessen.
Was wirklich auf dem Spiel steht
Es geht längst nicht mehr um die AfD. Es geht um die Frage, ob staatliche und halbstaatliche Akteure in Deutschland noch bereit sind, den Rechtsstaat über die eigene moralische Selbstinszenierung zu stellen. Wer zulässt, dass Menschen für gesetzestreues Verhalten sozial oder physisch bedroht werden, verschiebt rote Linien, die nie hätten berührt werden dürfen.
Und genau darum wird Gießen, ob es will oder nicht – zum Symbol.
Zum Symbol dafür, wie schnell ein demokratischer Diskurs kippt, wenn Politik und Medien mehr an ihrer eigenen moralischen Erzählung interessiert sind als an den Regeln, die uns alle schützen sollen.
Zum Symbol dafür, wie leicht Bürger zu Feindbildern werden, wenn sie zwischen politischer Ideologie und Rechtslage stehen.
Und zum Symbol dafür, dass der Rechtsstaat am Ende nicht von Parolen verteidigt wird, sondern von Menschen, die den Mut haben, ihren Job zu machen, auch wenn eine wütende Menge vor der Tür schreit.
Disclaimer: Dieser Text enthält politische Meinungsäußerungen und wertende Einschätzungen. Er basiert auf öffentlich zugänglichen Informationen und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Er richtet sich nicht gegen einzelne Personen, sondern bezieht sich ausschließlich auf politische Vorgänge und Strukturen. Der Text stellt keine rechtliche Beratung dar.
© 2025 Mirko Fuchs
Foto: KI-generiert
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