Der Kommentar zur AfD offenbart ein altes Problem der politischen Doppelmoral
Der Kommentar „Kritik am Schweigen zur AfD: Für Spielregeln eintreten“ von Katharina Weber auf der Seite mittelhessen.de, greift ein Thema auf, das in kommunalen Parlamenten seit Jahren unterschwellig gärt. Auslöser ist die Kritik des Dillenburger Grünen-Fraktionsvorsitzenden Falk Rathmann, der bemängelt, dass der Stadtverordnetenvorsteher und die Stadtverordnetenversammlung nicht deutlich genug reagiert hätten, als AfD-Vertreter einzelne Politiker verbal angegriffen haben sollen. Schweigen sei keine Option, Haltung müsse gezeigt werden, jederzeit und in jede Richtung.
Das klingt richtig, fast vorbildlich. Das Problem ist nur: Diese Einsicht kommt spät. Sehr spät. Und sie kommt selektiv. Denn während nun öffentlich darüber diskutiert wird, warum Angriffe aus Reihen der AfD nicht sofort und geschlossen verurteilt wurden, bleibt unerwähnt, dass Angriffe auf die AfD über Jahre hinweg weitgehend folgenlos blieben. Beleidigungen, pauschale Diffamierungen, moralische Ausgrenzung und das systematische Absprechen demokratischer Legitimität gehörten vielerorts zum politischen Alltag. Das wurde nicht als Regelbruch empfunden, sondern als Haltung verkauft.
Die AfD ist demokratisch gewählt. Sie sitzt in Parlamenten, um zu kritisieren, zuzuspitzen und bestehende Mehrheiten herauszufordern. Das ist keine Provokation gegen die Demokratie, sondern ein Wesensmerkmal parlamentarischer Opposition. Dass Ton und Stil dabei nicht jedem gefallen, ist kein Argument, sondern Teil politischer Auseinandersetzung. Wer hier strengere Maßstäbe anlegt als bei anderen Parteien, verlässt den Boden gleicher Regeln.
Wenn nun plötzlich festgestellt wird, dass persönliche Angriffe, Beleidigungen oder Drohungen nicht hinnehmbar sind, dann ist das in der Sache korrekt. Unglaubwürdig wird es dort, wo diese Erkenntnis nur situativ gilt. Demokratie funktioniert nicht mit Spielregeln nach Tagesform und politischer Wetterlage. Regeln verlieren ihren Wert, wenn sie nicht aus Überzeugung verteidigt werden, sondern nur dann, wenn sie sich gegen den jeweils unbequemen politischen Gegner richten. Wer Fairness fordert, muss sie auch dort gelten lassen, wo es politisch unangenehm wird.
Auch der im Kommentar zitierte Einwand der CDU-Stadtverordneten Silke Schumacher, ein allgemeiner Appell zur Geschäftsordnung gehöre nicht in eine Haushaltsdebatte, ist formal korrekt. Politisch offenbart er jedoch ein weiteres Ungleichgewicht. Haushaltsdebatten wurden in der Vergangenheit regelmäßig genutzt, um ideologische Spitzen gegen die AfD zu setzen. Der falsche Ort war das selten. Offenbar entscheidet nicht der Anlass, sondern die Zielrichtung darüber, was als zulässig gilt.
Der als Weckruf beschriebene Vorgang ist deshalb weniger Ausdruck neuer Verantwortung als ein Spiegel eigener Versäumnisse. Wer heute laut Haltung einfordert, sollte erklären, warum er gestern geschwiegen hat. Wer sich auf Spielregeln beruft, muss begründen, weshalb sie jahrelang nur einseitig angewendet wurden. Solange diese Fragen unbeantwortet bleiben, wirkt die Debatte nicht wie ein Einsatz für demokratische Kultur, sondern wie ein weiterer Versuch, die AfD moralisch zu disziplinieren, ohne sich inhaltlich mit ihr auseinanderzusetzen.
Das muss man aushalten. Nicht nur kurz vor Weihnachten, sondern dauerhaft. Denn Demokratie lebt nicht von belehrter Empörung, sondern von gleichen Maßstäben für alle.
Disclaimer: Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung im Sinne des Artikels 5 Absatz 1 des Grundgesetzes dar. Er dient der politischen Kommentierung eines veröffentlichten Presseartikels sowie der allgemeinen Einordnung parlamentarischer Vorgänge. Er enthält keine Tatsachenbehauptungen über einzelne Personen, sondern bewertet öffentliches politisches Handeln und Argumentationsmuster aus einer subjektiven Perspektive.
© 2025 Mirko Fuchs
Foto: KI-generiert
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