Gewerkschaftliche Appelle im Realitätscheck
In einem Beitrag auf mittelhessen.de äußert der Herborner Gewerkschafter Oliver Scheld, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Herborn-Betzdorf, deutliche Kritik am aus seiner Sicht „ständigen Stellenabbau“ in der regionalen Industrie. Er spricht von einem tiefgreifenden Umbruch, betont die soziale Verantwortung der Arbeitgeber und fordert, den Wandel gemeinsam mit den Beschäftigten und ihren Interessenvertretungen zu gestalten, statt Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern. Ergänzt wird dies durch bekannte Forderungen nach mehr Mitbestimmung, Qualifizierung und einer gerechteren Verteilung von Vermögen.
Diese Positionen sind nicht neu und sie sind im Grundsatz legitim. Gerade deshalb lohnt ein sachlicher Blick auf die wirtschaftliche Realität, die in der öffentlichen Debatte häufig zu kurz kommt. Wenn Stellenabbau pauschal als falsche Antwort dargestellt wird, richtet sich der Vorwurf nahezu ausschließlich an die Unternehmen. Die Rahmenbedingungen, unter denen diese Entscheidungen entstehen, bleiben dabei weitgehend unberücksichtigt.
Unternehmen agieren nicht willkürlich. Sie reagieren auf konkrete wirtschaftliche Zwänge. Hohe Energiepreise, steigende Lohnnebenkosten, zunehmende Regulierung, internationaler Wettbewerbsdruck und volatile Märkte prägen den betrieblichen Alltag. Wenn Produkte nicht mehr wettbewerbsfähig sind oder Aufträge wegbrechen, lassen sich Arbeitsplätze nicht durch Appelle sichern. Transformation erfordert Investitionen, und Investitionen setzen eine tragfähige wirtschaftliche Basis voraus.
An diesem Punkt bleibt die gewerkschaftliche Kritik oft vage. Wenn Stellenabbau und Standortverlagerungen als falsche Antworten bezeichnet werden, stellt sich zwangsläufig die Frage nach realistischen Alternativen. Unternehmen können keine Beschäftigung dauerhaft aufrechterhalten, wenn sie kontinuierlich Verluste erzeugt. Sie können keine Qualifizierungsprogramme ausweiten, wenn Planungssicherheit fehlt. Und sie können keine Zukunftsinvestitionen tätigen, wenn die wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind.
Der häufig verwendete Begriff der sozialen Verantwortung wirkt moralisch überzeugend, ersetzt jedoch keine betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten. Verantwortung setzt Handlungsspielräume voraus. Wer gleichzeitig höhere Abgaben, stärkere Umverteilung und zusätzliche Belastungen fordert, muss berücksichtigen, dass Unternehmen darauf reagieren. Kostensenkungen und Standortentscheidungen sind dann keine ideologischen Manöver, sondern nachvollziehbare Konsequenzen veränderter Rahmenbedingungen.
Auch Forderungen nach einer stärkeren Besteuerung von Einkommen und Gewinnen greifen zu kurz, wenn sie isoliert betrachtet werden. Gewinne sind nicht Selbstzweck, sondern Voraussetzung für Investitionen, Innovationen und damit für die Sicherung zukünftiger Arbeitsplätze. Wird dieser Zusammenhang ausgeblendet, verlagert sich die Verantwortung einseitig auf die Betriebe, während politische und strukturelle Faktoren aus dem Blick geraten.
Am Ende bleibt der Eindruck, dass hier vor allem die seit Jahren bekannten gewerkschaftlichen Phrasen wiederholt werden. Appelle an soziale Verantwortung, Mitbestimmung und Umverteilung ersetzen jedoch keine konkreten, belastbaren Vorschläge, wie Arbeitsplätze unter realen wirtschaftlichen Bedingungen tatsächlich gesichert werden sollen. Genau diese Lösungen bleiben erneut unbenannt.
Forderungen sind einfach. Verantwortung zu übernehmen wäre der schwierigere Teil.
Disclaimer: Dieser Beitrag stellt eine persönliche Meinungsäußerung und journalistische Bewertung öffentlich zugänglicher Aussagen dar. Er dient der politischen und wirtschaftlichen Meinungsbildung und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Genannte Personen und Organisationen werden ausschließlich im Zusammenhang mit ihren öffentlichen Funktionen und öffentlichen Aussagen erwähnt. Es werden keine Tatsachenbehauptungen über interne Vorgänge, Motive oder Absichten aufgestellt. Sämtliche Wertungen sind als solche kenntlich und vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gemäß Artikel 5 Grundgesetz gedeckt.
© 2025 Mirko Fuchs
Foto: KI-generiert
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