Ein einstimmiger Beschluss in Eschenburg zeigt, wie schnell Moral verstummt, wenn Bequemlichkeit zur Mehrheit wird
In der aktuellen Ausgabe der „Eschenburger Wochenzeitung“ liest man es schwarz auf weiß: Die Gemeindevertretung hat einstimmig beschlossen, einen sogenannten „Waschbärbeauftragten“ einzusetzen. Der Antrag kam von der CDU, und SPD wie FWG nickten brav mit. 22 Ja-Stimmen, keine Gegenstimme, keine Enthaltung, ein Paradebeispiel dafür, wie politische Routine das Denken ersetzt.
Die Gemeindevertretung zählt eigentlich 31 Mitglieder, neun davon fehlten, aus welchen Gründen auch immer. Vielleicht krank, vielleicht verhindert, vielleicht einfach froh, sich nicht festlegen zu müssen. Doch Abwesenheit wäscht kein Gewissen rein. Verantwortung verschwindet nicht, nur weil man den Sitzungssaal meidet. Sie bleibt zurück, zwischen den leeren Stühlen.
Was auf dem Papier so nüchtern klingt, „zur Sicherheit, zum Artenschutz, zur Lebensqualität“ ist in Wahrheit nichts anderes als eine moralische Bankrotterklärung. Denn hinter dem schöngefärbten Amtsdeutsch steckt ein klarer Auftrag: Tiere fangen, töten, Problem erledigt. Das nennt man in Verwaltungsdeutsch „Entnahme“, ein Wort, das nur deshalb so sachlich wirkt, weil es verschleiert, was es wirklich bedeutet.
In der Praxis endet das „Entnehmen“ immer in routinierter, schonungs- und gefühlloser Tötung, eine Abwicklung, die eher an bürokratische Prozessabfertigung als an verantwortungsbewusste Wildtierkontrolle erinnert.
Es fällt schwer zu glauben, dass hier tatsächlich 22 Menschen sitzen, die Tierleid ernsthaft befürworten. Aber ebenso schwer ist zu übersehen, dass offenbar niemand mehr den Mut hatte, Nein zu sagen. CDU, SPD und FWG, alle gemeinsam, geschlossen, pflichtbewusst im Gleichschritt. Mitgefühl scheint politisch unpopulär geworden zu sein.
Waschbären sind keine Monster. Sie sind schlicht Überlebenskünstler in einer Welt, die der Mensch selbst entstellt hat: offene Mülltonnen, zersiedelte Landschaften, ungesicherte Dachböden. Wer ihnen jetzt die Schuld gibt, bekämpft nicht das Problem, sondern das Symptom. Doch anstatt Ursachen anzugehen, schafft man lieber neue Posten, erteilt Jagderlaubnisse und verkauft es als Sorge um Sicherheit.
Dieser Beschluss ist kein Triumph der Vernunft, sondern ein Verrat am moralischen Anspruch. Wenn Politik beginnt, Mitgefühl zu verlernen, verwandelt sie Verantwortung in Verwaltung. Heute sind es Waschbären, morgen vielleicht andere Arten, die sich nicht ins Bild der aufgeräumten Gemeinde fügen.
Man darf hoffen, dass dieser Artikel wenigstens einige Leser in Eschenburg wachrüttelt. Denn wenn Gewissen keine Stimme mehr hat, bleibt am Ende nur noch das Schweigen der Mehrheit und das Schreien der ängstlichen Waschbären in den Fallen im Morgengrauen.
Und man fragt sich unweigerlich, wie sich ein Mensch überhaupt für eine solche Aufgabe hergeben kann, als ausführende Hand eines Beschlusses, der Tierleid verwaltet, statt Verantwortung zu übernehmen.
Wünschenswert wäre, man würde beim Bau von Kitas oder bei der Entlastung von Familien mit derselben Geschwindigkeit handeln. Aber offenbar regiert in Eschenburg nur dann Tatkraft, wenn’s gegen hilflose Tiere geht.
Disclaimer: Dieser Text ist ein Kommentar im Sinne von Artikel 5 Grundgesetz. Er enthält polemische Elemente, die der politischen und gesellschaftlichen Kritik dienen. Alle Bezüge zu Parteien und Fraktionen erfolgen im Rahmen der zulässigen öffentlichen Meinungsäußerung. Es werden keine konkreten Personen persönlich oder tatsachenwidrig angegriffen.
© 2025 Mirko Fuchs
Foto: KI-generiert
Quelle: Wochenzeitung Eschenburg
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