Wenn Widerspruch nicht gleich Feindschaft bedeutet

Ohne Streit keine Freiheit – warum wir den Andersdenkenden wieder aushalten müssen

Die friedliche Revolution von 1989 hat gezeigt, dass Einheit nur durch Offenheit gelingt. Heute erleben wir wieder Mauern, diesmal aus Ausgrenzung.  Wer am Nationalfeiertag Einheit beschwört und zugleich Millionen Bürger diffamiert, verteidigt keine Demokratie, er spaltet sie.

„Nur weil ich nicht deiner Meinung bin, heißt das nicht, dass ich dich hasse. Das müssen wir in unserer Gesellschaft wieder neu lernen.“ Dieser Satz wird im Internet häufig Morgan Freeman zugeschrieben, eine gesicherte Quelle dafür gibt es jedoch nicht. Unabhängig davon beschreibt er eine Wahrheit, die wir im Alltag kaum noch beherzigen.

Wir leben in einer Zeit, in der jede Auseinandersetzung sofort zur persönlichen Frage gemacht wird. Ein sachlicher Widerspruch reicht oft schon, um als Gegner abgestempelt zu werden. Wer nicht mit dem Strom schwimmt, wird entweder ausgegrenzt oder verächtlich gemacht. Dabei wäre es gerade die Fähigkeit, unterschiedliche Sichtweisen auszuhalten, die eine Gesellschaft stark und widerstandsfähig macht.

Demokratie lebt von Pluralität. Sie entsteht nicht im Konsens, sondern im Streit. Dass Menschen verschiedene Meinungen haben, ist kein Problem, sondern die Grundlage jeder Weiterentwicklung. Erst die Reibung von Argumenten erzeugt Fortschritt. Doch diese Einsicht scheint in Vergessenheit geraten zu sein. Heute gilt ein anderes Gesetz: „Wenn du nicht meiner Meinung bist, stehst du gegen mich.“ Wer so denkt, verwechselt Kritik mit Angriff und verengt den Raum, in dem überhaupt noch Debatten möglich sind.

Das hat Folgen, die gefährlicher sind, als viele glauben. Wo Widerspruch nicht mehr ausgehalten wird, wächst Schweigen. Menschen ziehen sich zurück, weil sie Angst haben, das Falsche zu sagen. Aus Meinungsfreiheit wird Selbstzensur, aus Streitkultur wird Sprachlosigkeit. In dieser Atmosphäre verlieren nicht nur Diskussionen an Tiefe, sondern auch das Vertrauen in die Demokratie selbst. Denn wenn nur noch eine Haltung akzeptiert wird, verkommt die politische Vielfalt zur Illusion.

Dabei war die Idee der Demokratie nie, dass wir uns alle lieben oder einig sind. Sie war, dass wir trotz Unterschiedlichkeit zusammenleben können. Sie war, dass die Vielfalt der Meinungen nicht zum Bürgerkrieg führen muss, sondern zu Kompromissen und gemeinsamen Lösungen. Genau das wird aber untergraben, wenn aus Meinungsverschiedenheit Hass gemacht wird.

Die Ursache für diese Entwicklung liegt oft in Unsicherheit und Bequemlichkeit. Es ist anstrengend, sich mit Argumenten auseinanderzusetzen. Viel einfacher ist es, den Andersdenkenden moralisch zu diskreditieren und sich selbst dadurch in der vermeintlich sicheren Position der „Guten“ zu wähnen. Doch dieser Weg führt in die Sackgasse. Er schwächt den Diskurs, verroht die Sprache und macht aus Mitbürgern Gegner.

Der oft Morgan Freeman zugeschriebene Satz erinnert uns an eine Haltung, die wir dringend zurückerobern müssen. Toleranz bedeutet nicht, jede Meinung gutzuheißen oder zu übernehmen. Sie bedeutet, dem anderen seine Sichtweise zuzugestehen, ohne ihn deshalb abzuwerten. Nur so kann eine Gesellschaft frei und lebendig bleiben.

Die eigentliche Aufgabe unserer Zeit ist daher nicht, Streit zu vermeiden. Die eigentliche Aufgabe ist, den Hass aus dem Streit herauszuhalten. Wir brauchen wieder den Mut, gegensätzliche Positionen klar auszusprechen, ohne sie sofort zur persönlichen Feindschaft zu erklären. Denn nur wer mit anderen streiten kann, ohne sie zu verachten, bewahrt das Fundament einer offenen Gesellschaft.

Alles andere wäre ein Rückschritt – und am Ende die Kapitulation vor der Intoleranz.


Disclaimer: Dieser Beitrag enthält meine persönliche Meinung im Sinne von Art. 5 Grundgesetz. Das verwendete Beitragsbild ist eine künstlerische Illustration und dient ausschließlich der symbolischen Darstellung. Es handelt sich nicht um eine Originalaufnahme von Morgan Freeman. Jegliche Ähnlichkeiten sind rein künstlerisch interpretiert. Irrtümer und Änderungen vorbehalten.

© 2025 Mirko Fuchs
Foto: KI-generiert



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