Der Mensch schafft ein Problem, das er dann bekämpft

Die Debatte um den Waschbären zeigt, wie weit sich Naturschutz von echter Ethik entfernt hat

Im Landkreis Limburg-Weilburg erklärten Biologen der Frankfurter Goethe-Universität jüngst, was zu tun sei: 40 Prozent der Waschbären müssten getötet werden. Am besten sofort. Ansonsten drohe, so der warnende Ton, eine „nicht mehr händelbare“ Ausbreitung dieser „invasiven Art“.

Es ist die alte Geschichte: Der Mensch spielt Gott, ruft eine Krise herbei und ruft dann nach Kontrolle, nach Bejagung, nach Blut.

Der Waschbär hat sich nicht selbst nach Deutschland eingeladen. Er wurde vom Menschen eingeschleppt, aus wirtschaftlichen Gründen, aus Neugier, aus Ignoranz. Jetzt, da er hier überlebt, wird er zum Problem erklärt. Ein Lebewesen, das nur seinem Instinkt folgt, wird zur Bedrohung stilisiert, weil der eigentliche Verursacher sich weigert, in den Spiegel zu sehen.

Man kann diesen Reflex inzwischen als evolutionäres Muster menschlicher Hybris betrachten. Kaum läuft etwas aus dem Ruder, schon werden Tiere zu Sündenböcken erklärt. Statt Verantwortung zu übernehmen, erschafft der Mensch eine moralische Nebelwand: Er spricht von „ökologischer Balance“, „Erhalt der Artenvielfalt“ und „tierfreundlicher Jagd“. Was für ein Zynismus, die Worte klingen sauber, damit die Hände es nicht mehr sein müssen.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen wie Abschüsse, Fallen, finanzielle Anreize für Jäger, zeigen, wie sehr der moderne Mensch seine Beziehung zur Natur verloren hat. Er versteht sie nur noch als System, das man verwalten, korrigieren oder notfalls dezimieren kann. Wenn etwas nicht passt, wird es „reduziert“. Wenn etwas zu viel ist, wird es „reguliert“. Das sind keine Begriffe des Schutzes, sondern der Herrschaft.

Und genau darin liegt das Problem. Der Mensch hält sich für den Maßstab allen Lebens. Alles, was nicht in seine Ordnung passt, wird entweder gezähmt, entfernt oder ausgelöscht. Er zerstört Lebensräume, betoniert Landschaften, vergiftet Böden, verändert das Klima und wundert sich dann über Tierarten, die dorthin wandern, wo überhaupt noch Leben möglich ist. Der Waschbär ist kein Störenfried, er ist ein Überlebender in einer vom Menschen verwüsteten Welt.

Während Forscher von „händelbaren Populationen“ sprechen, zeigen sie nur, wie sehr sich Wissenschaft inzwischen der Politik des Machbaren untergeordnet hat. Natur wird berechnet, verwaltet, beseitigt. Der Mensch rechnet sich zum Mittelpunkt der Schöpfung, während er die Schöpfung selbst zerlegt.

Am Ende dieser Logik steht kein Gleichgewicht, sondern ein ökologisches Trümmerfeld, in dem man irgendwann niemanden mehr zum Jagen braucht, weil es schlicht nichts mehr gibt, das sich bewegt. Dann wird der Mensch vielleicht begreifen, dass das eigentliche „invasive Wesen“ auf diesem Planeten er selbst ist.

Auch die Politik trägt ihren Anteil an diesem Schauspiel. Anstatt wissenschaftliche Vorschläge kritisch zu hinterfragen, duckt sie sich reflexartig weg und sucht Zuflucht bei denen, die am lautesten nach Gewehren rufen. Politiker reden von Verantwortung für die Natur, während sie gleichzeitig den Jägern in den Hintern kriechen, um nicht den Rückhalt auf dem Land zu verlieren. Man nennt das dann „Praxisnähe“. In Wahrheit ist es schlicht Bequemlichkeit. Statt endlich ökologische Ursachen anzugehen, Flächenfraß, Monokulturen, Müll und Massentierhaltung, werden Tiere geopfert, weil das schneller geht und besser auf ein Wahlplakat passt. Es ist der typische Reflex einer Politik, die lieber schießt, als denkt.


Disclaimer: Dieser Beitrag ist meine persönliche Meinung. Er dient der kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und umweltpolitischen Entwicklungen. Alle Aussagen sind im Rahmen der Meinungsfreiheit nach Artikel 5 Grundgesetz zu verstehen. Der Text stellt keine wissenschaftliche oder rechtliche Beratung dar.

© 2025 Mirko Fuchs
Foto: KI-generiert


 


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