Der Fall Norbert Bolz zeigt, wie ein staatliches System zur Erfassung vermeintlicher „Hetze“ die Meinungsfreiheit gefährdet
Manchmal verliert Freiheit nicht durch offene Zensur an Boden, sondern durch den schleichenden Ausbau der Kontrolle. Das hessische Meldeportal „Hessen gegen Hetze“, offiziell vom Innenministerium betrieben, sollte ursprünglich helfen, strafbare Hassrede zu melden. Doch längst steht es sinnbildlich für eine Entwicklung, bei der staatliche Wachsamkeit in staatliche Überreaktion umschlägt.
Nach übereinstimmenden Medienberichten soll ein Hinweis über dieses Portal an Berliner Behörden weitergeleitet worden sein, mit der Folge einer Hausdurchsuchung beim Medienwissenschaftler Prof. Norbert Bolz, ausgelöst durch einen satirischen Kommentar in sozialen Medien. Eine eigene Einsicht in die Ermittlungsakten liegt nicht vor. Die öffentliche Berichterstattung dazu löste bundesweit Kritik aus und warf grundsätzliche Fragen nach der Angemessenheit solcher Maßnahmen auf.
Niemand bestreitet, dass strafbare Volksverhetzung verfolgt werden muss. Doch das Instrumentarium dafür besteht längst: Polizei, Staatsanwaltschaft, Strafgesetzbuch. Ein zusätzliches Meldeportal, das staatlich organisiert und politisch geführt ist, verschiebt die Balance, weg von einer rechtsstaatlichen Prüfung hin zu einem Klima der Verdächtigung.
Gerade im Netz verschwimmt die Grenze zwischen scharfer Kritik, Ironie und strafbarer Hetze. Wer in diesem Graubereich vorschnell den Staatsapparat in Bewegung setzt, riskiert, dass Ermittlungen zur Machtdemonstration werden. Eine Hausdurchsuchung bei einem Wissenschaftler, der sich satirisch äußert, ist kein Zeichen von Stärke, sondern von Unsicherheit im Umgang mit freier Rede.
Solche Fälle beschädigen das Vertrauen der Bürger in die Neutralität staatlicher Institutionen. Denn das Portal ist keine private Initiative, sondern direkt in die Struktur des Innenministeriums eingebettet, also Teil des Regierungsapparats. Wenn ausgerechnet dort Meinungsäußerungen gesammelt und an Ermittlungsbehörden weitergeleitet werden, verschwimmt die Trennlinie zwischen berechtigter Strafverfolgung und politischer Beobachtung.
In einem freiheitlichen Staat sollte das Ziel nicht sein, möglichst viele Äußerungen zu melden, sondern möglichst viel Diskurs auszuhalten. Demokratie lebt vom Widerspruch, nicht von vorauseilender Kontrolle. Deshalb wäre es an der Zeit, das Portal grundsätzlich zu überprüfen und die Verhältnismäßigkeit wiederherzustellen, bevor der Rechtsstaat selbst Schaden nimmt.
Disclaimer: Dieser Beitrag dient der politischen Meinungsbildung und öffentlichen Diskussion gemäß Art. 5 Abs. 1 GG. Er stellt keine Tatsachenbehauptung zu laufenden Verfahren dar und enthält keine rechtliche Beratung. Alle Angaben basieren auf frei zugänglichen Medieninformationen und wurden sorgfältig geprüft. Jegliche Bewertungen sind Ausdruck der freien Meinungsäußerung.
© 2025 Mirko Fuchs
Foto: KI-generiert
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